Schöneberg

Im Nollendorfkiez um die Fuggerstraße, die Motzstraße und den Nollendorfplatz befinden sich zahlreiche Kneipen, Bars und Läden, die sich überwiegend an ein homosexuelles Publikum richten. Jährlich am dritten Wochenende im Juli findet in diesem Teil Berlins das homosexuelle „Motzstraßenfest“ statt, das mit einer Mischung aus Informationsständen gleichgeschlechtlicher Gruppen, Show-Bühnen sowie Imbiss- und Verkaufsbuden mittlerweile tausende Besucher anzieht und sich zu einer Touristenattraktion entwickelt hat.

                       

Die Gegend galt bereits in den Goldenen Zwanzigern als sogenanntes Schwulenviertel, ein Berzirk, der über eine dichte Infrastruktur und kulturelles Angebot für homosexuelle und transidente Menschen verfügt und auf diese Weise einen diskriminierungsarmen Raum für queere Menschen bieten soll.


Einer der ersten Zeitzeugenberichte hierzu ist der autobiografische Roman "Leb wohl, Berlin" des britischen Autors Christopher Isherwood, der zweieinhalb Jahre in der Nollendorfstraße 17 wohnte, wo ein Großteil der Handlung des Buches spielt. Der Roman war unter anderem Vorlage für das Musical Cabaret.

70er, 80er & 90er Jahre

Die Gegend ist geprägt von teilweise komplett erhaltenen Straßenzügen der Gründerzeit und kaiserzeitlichen Schmuckplätzen, wie dem Winterfeldtplatz oder dem Viktoria-Luise-Platz.

                       

Nach immer wieder aufblühenden Zeiten der relativen kulturellen Queerfreundlichkeit im Bezirk, haben sich auch allgemeine Verschiebungen in Schöneberg wieder gespiegelt. Sowohl die Verbindung von Heroin und anderen harten Drogen mit der Sexarbeit seit den 1970er Jahren, als auch die darauf folgende HIV/AIDS Krise der 80er und 90er Jahre, der seit Jahrzehnten voranschreitende Gentrifizierungsprozess im Kiez und die Verschärfung von xenophoben und rassistischen Narrativen im deutschen allgemeinen Diskurs (z.Bsp. Deutschland als „Bordell Europas“), haben die Umstände und Möglichkeiten der Schöneberger Sexarbeit stark verändert.


Der Verlust von unzähligen Hotels, Hotels, Pensionen und Bordelle hat die Sexarbeiter*innen gezwungen in der Öffentlichkeit zu arbeiten und Kund*innen in der Öffentlichkeit zu sehen. Die Menschen in der Nachbarschaft wollten eine Lösung für die Sexarbeiter*innen und Drogenkonsumierenden, die ihre Gärten, Flure und Treppenhäuser für Arbeit und Drogenkonsum nutzen. Sexarbeiter*innen wollten sichere Arbeitsräume wie "Verrichtungsboxen" – ein Konzept, das in anderen Städten wie Köln als Lösung dient. Die SPD hat als Antwort zwei öffentliche Eco-Toiletten im Jahr 2018 und zwei weitere ein paar Jahre später installiert

Toiletten
mit zwei Türen

Diese Toiletten wurden mit zwei Türen gebaut (eine auf jeder Seite), damit Sexarbeiter*innen nicht eingesperrt werden können; ein Hinweis darauf dass diese Toiletten unbestreitbar als Arbeitsstätten für Sexarbeiter*innen gebaut wurden. Heute werden diese Toiletten in erster Linie für die Arbeit und den Drogenkonsum sowie als Toilette genutzt. Sie stellen unhygienische Arbeitsbedingungen dar, die vom Staat bereitgestellt werden. Die Sexarbeiter*innen sind gegen diese Toiletten, aber werden gezwungen und hier zu arbeiten - in tragbaren Toiletten ohne fließendes Wasser.

                       

Nach Angaben des Rathauses Schöneberg werden die Toiletten 300 Mal pro Woche für den Stuhlgang benutzt. Angeblich werden sie zweimal am Tag gereinigt, aber weder die Sexarbeiter*innen, die sie benutzen, noch die Freiwilligen von Trans*Sexworks können dies bezeugen. Es gibt einen Streit zwischen dem Bezirk und den Toilettenreinigern, da sie meist extrem schmutzig sind - man riecht sie schon aus Metern Entfernung.

                       

In Mitten von Neubauten, Eigentumswohnungen und teuren Autos, sollen Sexarbeiter*innen aus diesem neuen Kiezbild vertrieben werden. Die Räumung der Rummelsburger Bucht zum Beispiel, ist ein Paradebeispiel dafür, wie marginalisierte Menschen, insbesondere Migrant*innen, Substanzkonsumierende Menschen, Wohnungslose und straßen-basierte Sexarbeiter*innen von wirtschaftlichen Interessen von Unternehmer*innen und Bezirksregierungen viktimisiert werden.

Covidpandemie

Die Covidpandemie hat ihren ganz eigenen Beitrag geleistet Sexarbeitende in Schöneberg in verstärkte Prekarität zu stürzen. Als der erste Lockdown begann, wurden auch die Beratungsstellen vor Ort geschlossen. Keine Person ging hinaus, um den Frauen, die noch auf der Straße arbeiteten zu erzählen was los war. Eines Tages, scheinbar aus heiterem Himmel, war alles geschlossen. Niemand hatte daran gedacht, die Sexarbeiter*innen, Drogenkonsument*innen und wohnungslosen Menschen im Kurfürstenkiez über Corona  aufzuklären. Stattdessen gab es mehr und mehr Gewalttaten in der Frobenstraße, meist gegen die Transfrauen. Es gab immer wieder Übergriffe, aber die Polizei kam nicht oder erst sehr spät. Viele Sexarbeiter*innen hatten Angst die Polizei zu rufen. Sexarbeit war verboten und die Polizei war sehr aggressiv und respektlos gegenüber den Frauen in den letzten Monaten gewesen.

                       

So hat sich Schöneberg von einem Kiez, in dem Sexarbeit sicher eingebettet war zu einem Umfeld entwickelt, welches sichtbare Sexarbeit bekämpfen und verdrängen möchte. Jedoch ist die Sexarbeit weder aus der Geschichte, noch aus der Gegenwart und der Zukunft Schönebergs wegzudenken.

                       

Für mehr Informationen zu der queeren und Sexarbeitsgeschichte von Schöneberg hat Trans*Sexworks eine informative Zine erstellt.

Kontakt